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Lucas Gehrmann MAGIE ALS SELBSTVERSTAENDLICHKEIT In meiner "Bibliothek der zufallenden Fragmente", wie ich den an das Internet angeschlossenen Monitor auf meinem Schreib- und Lesetisch zu nennen pflege, blaetterte ich auf der Suche nach einem zeitlich etwas zurueckliegenden und dennoch "modernen" Eingangszitat für meinen Beitrag ueber Michael Vonbanks Kunst zunaechst einige Seiten ueberJean-Jacques Rousseau sowie ueber den Almanach "Der blaue Reiter" durch - Rousseau wegen seiner Vorreiterrolle als Kritiker aller gesellschaftstheatralischen Zwangs-Maskeraden, die nach seiner Meinung das Individuum von sich selbst entfremden und es somit deformieren wuerden, und den "Blauen Reiter", weil dieses kleine feine Bild- und Textkompendium laut Mitherausgeber Franz Marc "die neueste malerische Bewegung in Frankreich, Deutschland und Russland" umfasse und "ihre feinen Verbindungsfaeden mit der Gotik und den Primitiven, mit Afrika und dem grossen Orient, mit der so ausdrucksstarken urspruenglichen Volkskunst und Kinderkunst, besonders mit der modernsten musikalischen Bewegung in Europa und den neuen Buehnenideen unserer Zeit" zeige.(1) Bevor ich aber in diese Literaturen naeher eindringen konnte, legte mir die Suchmaschine unversehens einen zeitgenoessischen "blauen Reiter" - in Gestalt eines in Stuttgart erscheinenden Journals fuer Philosophie - auf den Bildschirm. Magische Weisheit als weisheitliches Wissen "Wir fuehlen, dass selbst, wenn alle moeglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht beruehrt sind", zitiert hier Aleida Assmann aus Ludwig Wittgensteins Tractatus, um in der Folge dar zustellen, dass unser wissenschaftliches Wissen, da es eben nur einen kleinen Teil unseres Wissens ausmache, unter anderem durch ein "weisheitliches" Wissen zu ergaenzen sei, das die Autorin in vier Hauptkategorien unterteilt. Eine davon bezeichnet sie als "magische Weisheit", die u.a. wie folgt charakterisiert wird: "Magische Weisheit bezieht sich auf ein geheimes Wissen, das nicht nur Einblick in verborgene Weltzusammenhaenge hat, sondern in diese auch einzugreifen vermag. Wer im Besitz magischer Weisheit ist, teilt gewisse Geheimnisse des Schoepfergottes und setzt sich an seine Stelle."(2) Wer je eine der raren und unvorherbestimmbaren Situationen erlebt hat, in denen Michael Vonbank Texte, Gedichte, "Verdichtetes" spontan zum Besten gibt, wird so wie ich empfunden haben, dass diese Artikulierungen von einer gleichsam unergruendlichen Tiefe heraussprudeln, als verbalisierte Feuerungen tief im Gehirn liegender Synapsen nach aussen dringen und als Wortverknuepfungen und Satz-Gebilde einer eigenen Logik zu folgen scheinen, die andere und mehr Zusammenhaenge herzustellen vermag als jene linearen, wie sie ein Satz wie dieser hier zum Beispiel folgert. Fuer den Augenblick solcher vonbankscher Produktivitaet wird der Biertisch im Wiener Beisl, an dem wir gerade sitzen moegen, zu einem Ort konzentriertester Aufmerksamkeit, ja "Andacht", denn hier passiert etwas Besonderes, etwas, das uns nicht fremd ist und doch raetselhaft, weil es jenseits rationaler Erklaerbar und Deutbarkeit zugleich voellig "vernuenftig" erscheint - und fuer das wir kein besseres oder schlechteres Wort parat haben als "Magie". Und es passiert noch etwas Anderes, womoeglich noch Interessanteres: "Magie" wird zugleich zu etwas ganz Selbstverstaendlichem, denn wir erleben sie hier ohne jede Mystifizierung, Inszenierung oder "Bewer tung". Sie ist da, am Biertisch, und das ist gut so; sie ist, in der Formulierung von Aleida Assmann, Teil unseres "weisheitliches Wissens" und damit Teil unseres Wissens und Wesens insgesamt. Dass wir ihr so selten gewahr werden, ist eine andere Sache. Ueber die Bild-Text-Objekt-Installation von Michael Vonbank Von dieser Basis aus laesst sich Michael Vonbanks Werk womoeglich leichter erschliessen oder beschreiben als ueber den Weg des vergleichenden Suchens im Internet oder in der Kunstgeschichte, deren Einfluesse, wie schon Peter Gorsen betont, der Kuenstler ohnehin "von sich abstoesst". Stehen wir vor einem Bild, einer Zeichnung oder gar in einer Bild-Text-Objekt-Installation Michael Vonbanks, stehen wir in oder vor einer sich in aesthetischen Zeichen niedergeschlagenen magischen Handlung im obigen Sinn. Wir erleben allerdings nicht den temporaeren krea tiven Akt an sich, sondern deren (konservierbare) Niederschrift. Bleiben wir an der "Oberflaeche" dieser aesthe tischen Zeichen haengen, verknuepfen sie sich in unseren Koepfen mit vergleichbaren, weil Aehnlichkeiten auf weisenden Zeichen anderer "Oberflaechen". Dann landen wir vielleicht bei den Augenmasken und Kreuzen aus Adolf Woelflis Skt. Adolf-Riesen-Schoepfung, bei Gott/Teufeln und Menschenmistgeburten von August Walla oder vielen anderen Bild- und Schrift/Text-Verwandschaften je nach aufrufbarem Bilder-Vorrat aus der Abteilung Kulturgeschichte. Ist dieser umfangreich, huepfen wir vermutlich kreuz und quer durch Zeiten und Kulturen, streifen durch roemische Katakomben ebenso wie durch Ausstellungen klassischer Moderne wie "Von Rouault bis Picasso". Das bereitet durchaus Freude und macht auch deutlich, dass wir Vonbanks Arbeit nicht einfach irgendwo festnageln koennen innerhalb dieses Bilder-Archivs. Aber es gibt noch ein anderes Archiv, dessen Inhalte fuer die meisten von uns nicht so leicht ans Tageslicht der Erinnerung hervorzuholen sind. Vonbanks Kunst hilft uns allerdings ganz explizit beim Graben und Wuehlen in diesem anderen Archiv, das nicht mit fremden Bildern angefuellt ist, sondern mit unseren eigenen, "virtuellen" (und doch situativ sehr real auftretenden) Traum-, Vorstellungs-, Phantasie-, Angst- und Gluecksbildern, die in jedem Fall unsere (aeusserlich nicht niedergeschriebenen) Eigenkreationen sind. Vonbanks Konfigurationen entstammen, wenn ich mich nicht gaenzlich irre, zu einem Gutteil seinen eigenen "virtuellen" Bildern und haben damit archetypische Qualitaeten, und genau die sind es, die katalytisch wirken koennen für die Korrespondenz mit den Bestaenden unserer Archive der selbst produzierten Bilder, haben diese doch auch "archetypische" Anteile. Von einer anderen Ebene aus betrachtet laesst sich Michael Vonbanks Kunst auch als exemplarisch fuer kuenstlerisches Denken und Handeln als eine besondere Artikulationsform betrachten, in der Vernunft und Emotion gleichberechtigt und gemeinsam instrumentalisiert und zum Ausdruck gebracht werden. So schreibt z.B. Agnes Neumayr: "Die Kuenste sind […] eine praesentative Erkenntnisform, die sich der diskursiven Erkenntnis der Wissenschaften entgegenstellt. Das "Andere" der kuenstlerischen Erkenntnis zeigt sich im Faktum, dass diese weder eine Hierarchie zwischen Verstandes- und Gefuehlstaetigkeiten noch eine degradierende und ausgrenzende Wertung zwischen Vernunft und Gefuehl kennt. Beide stehen hier in aequivalenter, prozessualer und dynamischer Beziehung zueinander. Die Kuenste, betrachtet aus dieser Perspektive, verabschieden alle Formen von Gewalt, die der binaeren Oppositionslogik von Vernunft und Gefuehl als solcher immanent sind, mithin Ethnizismen, Fundamentalismen, Sexismen oder Nationalismen."(3) Moegen einige von Vonbanks Aussagen, wie er sie in seinen Gedichten oder Installationen taetigt, so direkt sein und wirken, dass wir in ihnen den Anteil von "Vernunft" im Sinne von reflektierendem Nach-Denken vermissen koennten, so relativieren sich diese Aussagen doch wieder im Gefuege ihrer bildsprachlichen Korrespondenzen. Ein Satz etwa wie "Ich steh aufs Kreuz" (aus der Rauminstallation "Kreuz verspeisen") wird unmittelbar gebrochen durch die woertlich genommene Darstellung einer lendenschurzlosen, gen Himmel blickenden doch nicht zwingend selig wirkenden Gestalt, die auf einem Kreuz steht. Widersprueche sind keine Gegensaetze, koennte man sagen, die zu Polarisierungen fuehren muessen, vielmehr sind Widersprueche selbstverstaendlich und duerfen parallel existieren. Es geht somit in Vonbanks Werk auch um Akzeptanz, um Toleranz, ohne dass uebrigens eine besondere Wuerdigung solcher ethischen Tugenden ausgesprochen wird. Auch sie haben letztlich selbstverstaendlich zu sein - das Konflik tuoese wird zwar dargestellt, zugleich aber auf oft ironische/komische Art gebrochen. So liegen am Boden des rundum bemalten/bezeichneten/beschrifteten Raums der Installation "Sweet Dreams" zwei Paare, die aus zwei Kultur kreisen stammen: West-/Zentraleuropa (Oesterreich) und "Orient (Ausland)". Alle sind karikaturhaft uebertrieben dargestellt mit ihren jeweils regionalen Attributen und kulturell somit deutlich voneinander unterschieden, aber sie traeumen alle die selben Traeume, die an die Waende und an die Decke gezeichnet sind. "Sex mich", "rauch mich" oder "gemma Abzugsbilder schaun" steht zwischen den Traumgestalten geschrieben, die keinen kulturellen Kreisen zugeordnet werden koennen. In der Videoserie "Somewhere in Europe" geht es mit ganz anderen Mitteln um ein aehnliches Thema, naemlich um "Enklaven, um Doppelgesellschaften mitten in Europa. Es handelt von fremden Kulturen, die bereits zum fixen Bestandteil Europas, insbesondere europaeischer Grossstaedte geworden sind."(4). Zu sehen sind zuerst Szenen von einem Markt, der in einem "Auslaenderviertel" liegt, wie man in Wien zu sagen pflegt. Denn "Somewhere in Europe" koennte zwar ueberall in Europa spielen, doch stehen Forderungen bestimmter Politiker wie "Planquadrate gegen illegale Auslaender", "Kein Auslaenderwahlrecht", "Stopp dem Asylmissbrauch" hier besonders haeufig an der Tagesordnung, denn, so die diesbezueglich am staerksten engagierte Partei: "Die Zahl der 100.000 illegal in Wien lebenden Auslaender steigt durch den organisierten Asylmissbrauch staendig an. Die FPOE lehnt die von SPOE, OEVP und Gruenen angestrebte "multikulturelle Gesellschaft" ab"(5). Michael Vonbank orientiert sich diesbezueglich eher an Meinungen, wie sie z.B. von Hannah Arendt vertreten wurden, die schrieb: "Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde."(6) So zeigen die folgenden Videos wiederum Szenen dieses Wiener Marktes, zwischen die dann Aussagen von in diesem Viertel ansaessigen "Inlaendern" eingeblendet sind. Zwei Interviewte sind real, zwei weitere sind fiktiv, hinter Masken versteckt. Die ersten beiden reden im Sinne Arendts/Vonbanks, die anderen beiden reden im Sinne gemaessigter oder direkter Auslaenderfeindlichkeit, so, wie sie nicht nur in der oben zitierten Partei und einigen "auflagenstaerksten" Printmedien anzutreffen ist, sondern auch in breiten Kreisen der Bevoelkerung. VertreterInnen Letztere "outen" sich diesbezueglich aber nicht vor der Kamera, sie tun das lieber unter ihresgleichen oder hinter vorgehaltener Hand. Vonbanks maskierte SprecherInnen vertreten also die "Stimme des Volkes",die sich laut nicht aeussert. Alle, die hier zur Sprache kommen, muessen dies allerdings auf Englisch tun, was ihnen nicht immer leicht faellt. Nicht allein deshalb, weil die Sprache fremd und daher schwierig ist, sondern weil sie damit auch selbst zu Fremden werden, zu "strangers in their own land". 1 Franz Marc, in: Der Blaue Reiter, hrsgg. von Wassily Kandinsky und Franz Marc, Muenchen: Piper, 19122 Aleida Assmann, Wissen und Weisheit, in: der blaue reiter Ausgabe 21, online: www.derblauereiter.de 3 Agnes Neumayr, "Humor als subversive, politische Strategie", in: Marianne Maderna, Historysteria, Wien-New York: Springer 2008 4 www.michaelvonbank.at/photo.htm (4. 2. 2008) 5 alle Zitate aus: Strache und Schock praesentieren Wahlprogramm der FPOE-Wien. Sicherheit, Auslaender und Gebuehren als Schwerpunkte (2005) 6 Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes. Das Denken. Das Wollen, Muenchen: Piper 2002, S. 80 Dieser Text ist erschienen im Katalog "Michael Vonbank. Gegenwelten - Eine Zusammenkunft. Arbeiten 2002 bis 2008". Herausgegeben von Michael Vonbank mit Texten von Lucas Gehrmann, Peter Gorsen, Sonja Traar und Michael Vonbank. BUCHER Verlag, Hohenems 2008, ISBN: 978-3-902512-43-4 |
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